Brezel Race 2025
Johannes gewinnt Jedermann-Klassiker in Stuttgart
Von Johannes Stahr
Ab zum Brezel Race
Anfang Juni kam Lukas, einer meiner besten Kumpels und bekannt für seine starken Performances an der Spielekonsole, auf die glorreiche Idee, doch mal gemeinsam ein Radrennen zu fahren. Da er bis vor kurzem noch in Stuttgart studierte und weiterhin beste Kontakte zu den schwäbischen Locals pflegt, war die Idee schnell geboren: Ab zum Brezel Race im September!
Ich, Anfang Juni noch in absolut bodenloser Form, war jetzt nicht gerade begeistert aber dachte mir nur: Melde dich jetzt einfach mal für alles Mögliche an, dann bist du wenigstens gezwungen zu trainieren. Ein kleiner Formtest eine Woche vorm Saisonhighlight King of the Lake kann auch nicht schaden. 122km mit 1100 Höhenmeter klingen auch echt human.
Nach der Anmeldung stellte ich lustigerweise fest, dass die Freundin meines Cousins auch am Start war, er als Supporter vor Ort. Na also, des wird top!
Am Samstag Nachmittag reisten wir an und bezogen unsere schwäbische Residenz in Stuttgart. Vielen Dank an dieser Stelle an Jakob und die ganze Family für die herrvorragende Bewirtung und das köstliche Carboloading am Abend!
Nachdem wir die Startunterlagen abgeholt hatten, besuchten wir noch eine kleine Geburtstagsfeier, wo ich schon merkte, dass ich anscheinend mit großen Vorschusslorbeeren angekündigt wurde: “Ah du bist der Kumpel vom Lukas der morgen gewinnt!” Ich dacht mir nur: Mei, wenigstens haben die Vertrauen in mich. Habe ja in meinem Leben schon genau 0 Radrennen abseits von Amateur-Kriterien oder Bergzeitfahren gewonnen. :-)
Dann ging’s ins Bett, Wettervorhersage: 13 Grad und Regen. Top!
Im Vollschuss durch Stuttgart
Die Kleidungsfrage war schnell geklärt: In Flandern 2024 war es bei ähnlichem Regen 6 Grad kälter also natürlich kurz, kurz. Mit Blick auf den KOTL nächsten Samstag wurde selbstverständlich style-technisch der ,,Rennschnurre” schon mal in Szene gesetzt und unter Wettkampfbedingungen getestet.
Bei über 2500 Startern auf der langen Strecke und einer 23 km langen, flachen, nassen Anfahrt zum ersten Anstieg war klar: Vorne stehen in der Startaufstellung ist Pflicht! Also wurde sich angezogen wie ein Schneeräumer und 1 Std vorm Start in die ersten Reihen gestellt. Danke an meinen Cousin Tim für die Übernahme der Klamotten kurz vor dem Start. Dann ging’s auch schon los.
Der Startschuss ertönte und die ersten Meter aus der Stadt raus erfolgten neutralisiert. Es dauerte genau 2 min bis die erste Gefahrenstelle mit einer noch nicht rechtzeitig geöffneten Absperrung über die halbe Straße den ersten Stress im Feld verursachte. Kreisverkehre, Fahrbahnteiler und Fahrbahnverengungen machten das ganze hektisch. Als ich dann auf klitschnasser Straße bei Tempo 58 einen kleinen Highsider über eine wie eine Billardkugel durchs Feld fliegende Fahrradflasche machte, hatte ich die Schnauze voll und investierte ein paar Körner um in den ersten 15 Positionen im Feld zu fahren.
So ging es dann an Position 10 in den ersten Anstieg: 1,3 km mit Rampen bis ca. 15%. Da war eigentlich klar, dass das Feld hier auseinanderfliegt. Ich konnte mich vorne halten und fand mich in einer ca. 30-köpfigen Spitzengruppe mit zahlreichen Fahrern der dominierenden Teams Strassacker und Sebamed wieder. In den folgenden kurzen Wellen wurde die Gruppe weiter dezimiert, sodass die Spitzengruppe bei KM 50 noch aus ca. 20 Mann bestand. Aufgrund der numerischen Überlegenheit der beiden Teams, war hier schon klar, dass es auch aufgrund der fehlenden längeren Anstiege schwierig werden wird wegzukommen. Die jeweils 6 Fahrer von Strassacker und Sebamed neutralisierten sich gegenseitig und verrichteten einen Großteil der Tempoarbeit. Das Tempo wechselte in den kommenden Kilometern zwischen Anschlag am Berg und nahezu kompletter Stillstand auf der Ebene.
Schrecksekunde
Wie es halt dann so ist, wenn das Tempo fällt: Jeder trinkt, die Konzentration lässt nach. So legten sich bei KM 80 im vorderen Teil der Gruppe völlig aus dem Nichts 4-5 Leute hin. Ich, zu diesem Zeitpunkt relativ weit hinten in der Gruppe, hörte es nur scheppern und sah im nächsten Moment einen Haufen von Fahrrädern 2 Meter vor mir liegen. Ausweichen war mit meiner limitierten Radbeherrschung leider nicht mehr möglich, also bremste ich noch so gut es geht runter und versenkte mein Rad halbwegs kontrolliert im Scheiterhaufen. Mein Rad blieb liegen, ich flog oben drüber und dachte mir in dem Moment nur: " Fuck, des war’s mit dem KOTL”. Zum Glück landete ich perfekt auf meinen Beinen und konnte einen Aufprall verhindern. Dann kam der Moment der Wahrheit. Kein schönes Gefühl, wenn du die 8m zurück zu deinem, in einem Haufen Fahrräder steckenden Rennrad, läufst. Von Totalschaden bis kein Kratzer alles möglich. Kurzer Check, alles noch heile, Kette rauf und weiter geht’s. Die Spitzengruppe war außer Sichtweite und von hinten schloss nur noch ein Sturzgenosse auf. “Die sehen wir nie wieder”, dachte ich mir. Hilft aber nix, also gasten wir mit allem was wir haben im Paarzeitfahren die nächsten Kilometer hinterher bis wir den Anschluss an die Spitzengruppe, die fairerweise nicht mit Vollgas weiterfuhr, wieder hergestellt hatten. Der Adrenalinspiegel war nun auf 100 und ich musste die nächsten Kilometer vorm Finale erstmal durchschnaufen.
Sprint oder Attacke?
Dann ging es mit 16 Mann auf die finalen 20 Kilometer. Ich nahm nochmal einen letzten kräftigen Schluck aus der Flasche, analysierte die Gruppe und versuchte mir eine Taktik zurechtzulegen. Nachdem ich den ganzen Tag ohne eine Führung zu fahren eher am Ende der Gruppe mitgerollt bin, setzte ich mich nun vor dem finalen Anstieg am Killesberg ans Hinterrad der vermeintlich stärksten Fahrer. Das Tempo wurde hochgezogen und es kamen die ersten Attacken. Von den Teams Strassacker und Sebamed waren nun nur noch die Kapitäne dabei, ein Problem weniger. Ich sprang die ersten Attacken mit und machte fast schon etwas zu viel. Immer, wenn einer vorne raus war, herrschte in der Gruppe noch halbwegs Einigkeit und ich merkte schnell, mit einer Attacke kommt man hier wahrscheinlich nicht weg. Ein zweimal juckte es mir schon in den Fingern zu attackieren, aber ich wusste: Du hast hier nur einen Schuss, entweder Attacke oder Sprint. Da meine Streckenkenntnis quasi nicht existent war und ich von einer technischen Abfahrt Richtung Ziel gehört habe, verwarf ich den Gedanken an eine Attacke auch aufgrund meiner mangelnden Abfahrtskünste schnell wieder. So fuhren wir anscheinend mit 9 Mann über die Kuppe des letzten Anstiegs, ich war zu dem Zeitpunkt mit Puls 195 komplett am Anschlag und bekam weder mit, wie viele Fahrer wir waren, noch wieviele Kilometer es noch bis ins Ziel sind.
Sprint
In der Abfahrt riskierte ein Fahrer mehr als alle Anderen und fuhr ein gutes Loch heraus. Es folgte Kurve um Kurve und ich zippte hektisch auf meinem Tacho herum. “Fuck nur noch 3km!” Dann kam im Endeffekt die Rennentscheidende Szene: Nachdem wir zu dritt die Lücke nur ganz langsam kleiner werden ließen spannte sich ein Fahrer vor die Gruppe und kurbelte einfach stoisch 21km lang wie ein geisteskranker von vorne. Ich an zweiter Position an seinem Hinterrad dachte mir nur: “Wer hat denn dich geschickt Junge! Bitte mach einfach so weiter!” Gesagt getan, Jack, später dritter im Sprint fuhr die Lücke im Alleingang zu und an der Flamme Rouge war der Ausreißer gestellt. Alles ging so schnell, dass man eigentlich nur noch funktioniert und nichts mehr denkt. 1000m, 800m, 500m ich kannte die Zielgeraden nicht, aber aufgrund des später stattfindenden Profirennens der Frauen war alles perfekt markiert. Mein einziger Gedanke war: “Bloß nicht einbauen lassen!” Also zog ich ab 400 m vor dem Ziel schon mal auf der Innenbahn etwas an, um freie Fahrt zu haben. Nun merkte ich, dass die Zielgeraden leicht anstieg. Aufgrund unserer zahlreichen Trainingssimulationen im August, Danke an Holger Wanke!!, wusste ich, dass mir ein längerer Mads Pedersen-Ekelsprint mehr liegt wie ein kurzer. Also zog ich bei der 250m Marke meinen Sprint an. Die ersten Meter spürte ich links neben mir noch Fahrer, dann verlief alles wie im Zeitraffer. Blick nach unten, Blick nach vorne, kein Ziel zu sehen. Noch nicht überholt worden, immerhin. Der Sprint lief gut und ich merkte aus dem Augenwinkel, dass ich vorne war. Dann kam der Do or Die Moment: Leichte Linkskurve noch ca. 100m und ich sah das erste Mal völlig im Arsch die Ziellinie am Ende der immer stärker ansteigender Zielgeraden. (die letzten 80m eher 4% statt 2%)
Für Sekundenbruchteile kam ich ins Zweifeln, ob das was wird. Aber irgendwie war der Wille stärker als die Beine. Also warf ich alles, was der Körper hergab in die letzten 75m und realisierte erst so 10m vor der Ziellinie, dass ich hier wirklich gerade ein Radrennen gewinne.
Die Emotionen beim Überqueren der Ziellinie werde ich so schnell nicht vergessen. Einen Lauf, ein Bergzeitfahren oder ein Kriterium Rund um die Gelbe Mülltonne zu gewinnen ist das eine, aber ein richtiges Radrennen vor toller Kulisse Mann gegen Mann für sich zu entscheiden ist schon nochmal emotionaler. Während eines Radrennens kann einfach so viel passieren und Renntaktik spielt eine entscheidende Rolle. Da gewinnt nicht immer der mit den besten Beinen, da muss viel zusammenkommen.
An dieser Stelle muss man zur sportlichen Einordnung sagen, dass das Rennen ein Jedermannrennen war und Elite-Amateure nicht startberechtigt waren. Dadurch war die Spitze in der Breite selbstverständlich nicht so hoch besetzt wie bei den Bayerischen Lizenzklassikern gewohnt. Trotzdem bekommt man vor allem als Einzelkämpfer mit einigen Teams in der Spitzengruppe nichts geschenkt. Simon Betz, der im Sprint Zweiter wurde, war beispielsweise 2021 4ter bei der Granfondo WM und dieses Jahr 8ter Gesamt beim Glocknerkönig. Platz 3 Jack Morrissey gewann 2023 das Rennen der Radbundesliga auf dem Nürburgring als Solist vor Niklas Behrens, der heute bei Jumbo Visma in der World Tour fährt.
Kurz nach dem Zieleinlauf traf ich lustigerweise auch schon auf die Geburtstagsgesellschaft vom Abend vorher. Unvergessen die Blicke nach dem Motto: “Hat der Dude von gestern da jetzt echt gewonnen?” Anschließend fand auch schon die Siegerehrung statt, bevor meine Kumpels auch im Ziel waren und jeder seine Rennanekdoten zum besten gab.
Abschließend ließen wir den Abend gemütlich ausklingen. Insgesamt war es ein echt cooles und vor allem auch durch das Profi-Damenrennen top organisiertes Event auf einer für jeden machbaren, komplett gesperrten Strecke. Jetzt geht’s auf zum King oft the Lake nächstes Wochenende.